(Nachlese zu meinem Vortrag „Successful agile projects are only possible with co-location! Yes, but…“ bei der 20x20 Agile Night am 12.05.2020 in Berlin)
Wenn man sich die Literatur und Blogs zu agilen Methoden und agiler Softwareentwicklung durchliest, könnte man meinen, dass agil arbeiten nur möglich ist, wenn das Team sich einen Raum teilt oder zumindest am selben Standort sitzt.
Klar, so zu arbeiten bringt viele Vorteile mit sich, die sich positiv auf das (agile) Team auswirken. Fragen können sofort beantwortet werden und wenn ein Problem auftritt, ist meist die Hilfe nicht weit und Information Radiators schaffen – nahezu ohne Aufwand – Transparenz über den Stand des Projekts für alle Interessierten.
Kurz: Kommunikation findet schnell, einfach und unkompliziert statt. Und hat den schönen Nebeneffekt, dass die Beziehungen zwischen den Teammitgliedern nicht nur auf professioneller Ebene wachsen und gedeihen.
Auf der anderen Seite gab es allerdings schon immer auch Teams, die auch über die ganze Welt verteilt sehr erfolgreich gearbeitet haben. In einer Zeit, in der innerhalb von Stunden oder Tagen ganze Abteilungen ins Home-Office geschickt wurden, lohnt es sich, auf diese Teams und ihre Methoden zu schauen.
Deshalb hier 11+1 Tipps für Dich, wie du die Herausforderungen der verteilten Arbeit zu meistern. (Und wahrscheinlich ist das Home-Office gekommen, um zu bleiben...)
Tipp 1 – Mach Dein eigenes Ding
Das Internet und die einschlägigen Magazine sind voll von Best Practices und Erfolgsgeschichten, mit welchem Ansatz oder welchem Tool das erfolgreiche Unternehmen X ein Problem überwunden hat und noch erfolgreicher wurde.
Diese Geschichten sind sehr interessant und man kann etwas daraus lernen, aber man sollte immer daran denken, dass es die Chancen und Herausforderungen dieser Firma waren und man seine eigenen hat.
Deshalb: Bevor Du anfängst andere zu kopieren, denk darüber nach, was für dein Team im Moment wichtig ist und suche eigene Lösungen. Die passen dann auch genau zu Deiner Situation und machen Deine Kollegen und Dich vielleicht noch erfolgreicher als Unternehmen X.
Tipp 2 – Denke „Remote First“
Vielleicht kennst Du die Situation: Du sitzt im Home-Office und nimmst an einer Konferenz teil, bei der einige Kollegen im selben Raum sitzen. Du bekommst nur die Hälfte mit und im schlimmsten Fall werden dort die Entscheidungen getroffen – und Du sitzt hilflos vor dem Rechner.
Wenn man mit verteilten Teams arbeitet ist es daher oberstes Gebot: alle Prozesse (von der Informationsverteilung bis hin zur Entscheidungsfindung) so zu gestalten, dass die Kollegen, die nicht vor Ort sein können, keine Nachteile jenseits der Nutzung der schicken Espresso-Bar erdulden müssen. Das funktioniert am besten, wenn man sich für jeden Prozessschritt vorstellt, wie es wäre, wenn man von unterwegs arbeiten würde.
Tipp 3 – Setzt euch klare Regeln für die Zusammenarbeit
Wenn man sich ein Büro teilt, bilden sich die Regeln der Zusammenarbeit häufig von allein. Für die verteilte Arbeit muss sich das Team hier ein bisschen mehr anstrengen, da sonst Konfusion, Missverständnisse und Spannungen unumgänglich sind.
Macht Euch Gedanken über Kommunikation, Meetings, Prozesse. Darüber wie Ihr in welcher Situation zusammenarbeiten wollt und wie Ihr Eure Arbeit dokumentiert. Dann diskutiert die Regeln aus und haltet Euch daran – dann funktioniert es auch mit den entfernten Kollegen.
Tipp 4 – Gib jedem Kommunikationskanal einen Zweck
Ohne einen Plan, wie kommuniziert werden soll, wird es wahrscheinlich ein kommunikatives Dauerfeuer auf allen Kanälen geben und der Tag verschwimmt zu einem einzigen Meeting. Die Bilanz am Abend? Wieder nichts geschafft.
Eine Lösung hierfür: Entscheidet Euch für einige wenige Kanäle und legt fest, für was sie benutzt werden sollten. Einige sinnvolle Kategorien wären zum Beispiel:
- Wichtigkeit der Kommunikation
- Handelt es sich um ein Meeting mit vielen Teilnehmern oder ein Gespräch unter vier Augen
- Findet die Kommunikation synchron oder asynchron statt
Tipp 5 – Bevorzugt asynchrone Kommunikation
Wo wir gerade bei Kommunikation sind. Wählt im Zweifelsfall immer den asynchronen Weg. So haben alle die gleiche Chance sich einzubringen, insbesondere wenn in verschiedenen Zeitzonen gearbeitet wird.
Außerdem wird man nicht ständig aus der Arbeit gerissen und kann auch mal etwas konzentriert fertigstellen.
Tipp 6 – Nutzt synchrone Kommunikation strategisch
Auch wenn Ihr asynchrone Kommunikation bevorzugen solltet, manche Dinge lassen sich nicht aufschieben oder es ist notwendig sich hierzu direkt auszutauschen. Sei es eine kritische Störung im Produktivsystem oder das Personalgespräch. In solchen Fällen ist synchrone Kommunikation nicht zu ersetzen.
Also sprecht miteinander, seid gemeinsam kreativ oder knobelt an komplexen Problemen Auge in Auge, aber mit Augenmaß.
Tipp 7 – Wählt die richtigen Werkzeuge aus
Über Kommunikationswerkzeuge haben wir in den vorherigen Tipps schon gesprochen. Aber Eure Werkzeugkiste ist sicher umfangreicher und sollte sowohl Eure Tätigkeiten optimal unterstützen als auch das verteilte Arbeiten.
Denkt also auch über Kollaborations-, Aufgabenverwaltungs- und Entwicklungswerkzeuge nach, die Euch die Arbeit erleichtern können und – Stichwort Cloud – die Medienbrüche in Euren Prozessen minimieren. Auch hier gilt natürlich: „Weniger ist mehr“.
Tipp 8 – Feiert Erfolge gemeinsam
Im Home-Office wird es schnell einsam und man fühlt sich manchmal nicht wahrgenommen. Deshalb kommuniziert und feiert auch die kleinen Erfolge gemeinsam. Das ist gut für das Klima im Team und jeder einzelne fühlt sich gewertschätzt.
Tipp 9 – Für die Manager: Vermeidet Micromanaging
Micromanaging, also die permanente Kontrolle der Arbeit durch den Vorgesetzten, der auch noch versucht einem das Denken abzunehmen, ist schon im normalen Arbeitsumfeld eine Qual für alle Beteiligten.
Leider steigt die Tendenz zu diesem Verhalten in verteilten Teams, wahrscheinlich als ein Symptom von Überkompensation, da der Manager ja nicht mehr sieht, was das Team so treibt.
Und wenn es im Büro schädlich ist, wird es remote zum Desaster, da die ständigen Nachfragen die Mitarbeiter immer wieder aus der Arbeit reißen und so der Eindruck verstärkt wird, dass sie ohne die helfende Hand das Vorgesetzten nichts auf die Reihe bekommen.
Ein Rat speziell an die Manager: Lasst los und beschränkt Eure Interventionen auf die geplanten Meetings. Keiner steht morgens auf und überlegt sich, wie er möglichst schlechte Arbeit leisten kann.
Tipp 10 – Vertrauen als zentraler Wert
Das führt uns direkt zum nächsten Tipp: Die Umsetzung agiler Methoden gelingt nur, wenn man sich innerhalb des Teams vertrauen kann und dem Team vertraut wird. Dies gilt umso mehr, wenn das Team nicht vor Ort ist, da man hier nicht sieht, wie es arbeitet.
Zur Erinnerung: Das Team ist verantwortlich für sein Handeln und dafür, seine Zusagen bestmöglich einzuhalten. Wenn man sich alle daranhalten, muss man hier gar nichts weiter tun.
Tipp 11 – Ignoriert nicht die Nachteile von verteiltem Arbeiten
Natürlich bringt verteiltes Arbeiten auch einige Nachteile mit sich. Hier eine kleine Auswahl:
- Innovation und Kreativität sinken durch das Alleinarbeiten
- Einige Kollegen sind mit der neuen Art zu arbeiten über- oder unterfordert
- Gefühle von Isolation können aufkommen
Der letzte Tipp von mir ist, diese Nachteile nicht zu ignorieren, sondern sie offen im Team anzusprechen und gemeinsam gute Lösungen zu finden.
Und denkt an den ersten Tipp – es sollten Eure Lösungen für Eure Herausforderungen sein.
Bonustipp - Trefft Euch auch virtuell mal auf ein Feierabendbier
Wenig Aufwand und doch eine Allzweckwaffe – das virtuelle Feierabendbier.
Hebt die Stimmung, ist gut für das Teamklima, stärkt die persönlichen Bindungen im Team und schmeckt lecker (egal ob mit oder ohne Alkohol)!